Hildegart Reichert: Der silberne Berg (und andere Märchen im alten Gewande) |
Die hilfreichen Zwerge
Er wusste aber genau die Stelle, wo die Insel lag. Der junge Bursche merkte es sich gut. Bald darauf starb der Alte. Als nun das Schiff in der Nähe seiner Heimat in einen Hafen kam, nahm der junge Seemann Urlaub, um seine Mutter zu besuchen und ihr seine Ersparnisse zu bringen. Die alte Frau freute sich sehr, als sie ihren Sohn wiedersah.
Er war ein großer, stattlicher Mann geworden. Nun sah er sich in der alten Heimat um, ging auch manchmal in den Wald, in dem er als Knabe gespielt hatte. Da traf er einmal die schöne Tochter des Grafen, die gerade spazieren ging. Er grüßte höflich, und sie fragte ihn, wer er sei und woher er komme. Er erzählte ihr nun von seinen Reisen und Abenteuern, und das Fräulein fand die Geschichten so herrlich, dass sie ihn immer wieder zu einer Bank im Wald bestellte, um sich von den Erlebnissen berichten zu lassen. Bald hatten die beiden jungen Menschen viel Gefallen aneinander gefunden. Deshalb sagte die schöne Grafentochter zu ihrem Vater: "Diesen jungen Seemann will ich heiraten und keinen anderen."
Da wurde der Vater sehr zornig und verbot ihr diese Wünsche, denn er hatte ganz andere Pläne mit seiner Tochter. Das arme Mädchen ging noch einmal heimlich zu ihrem Liebsten, weinte und sprach: "Mein Vater will nicht, dass ich einen armen Seemann heirate, aber ich will keinen anderen als dich und werde auf dich waren, solange ich lebe." Der Jüngling war sehr gerührt durch diese Worte, zog einen goldenen Ring aus der Tasche, zerbrach ihn und gab ihr eine Hälfte. Dann sagte er: "Hebe das Stück gut auf und heirate keinen, der dir nicht die andere Hälfte des Ringes bringt. Ich will fortziehen und versuchen, als reicher Mann wiederzukommen." Dann nahmen sie Abschied voneinander. Als er nach Hause kam, klagte seine Mutter, dass ein Fuchs ihr das beste Huhn gestohlen habe.
Der Sohn legte eine Schlinge vor das Loch im Zaun, durch das der Räuber gekrochen war, und dachte: "Er wird wohl morgen früh wieder ein Hühnchen stehlen wollen", und legte sich auf die Lauer. Nicht lange, da kam wirklich ein stattlicher Fuchs und wollte durch das Loch schlüpfen. Aber da fing er sich in der Schlinge. Der junge Mann kam hinzu und wollte den Dieb totschlagen. Plötzlich fing der Fuchs an zu sprechen: "Lieber Herr, töte mich nicht, ich will es euch reichlich belohnen. Löst nur die Schlinge von meinem Halse." Er zerschnitt das Band, und als der Fuchs frei war, verwandelte er sich in einen prächtig gekleideten Zwerg, der ein goldenes Krönlein trug. Dann sprach er: "Ich bin der Zwergenkönig, und weil du mir das Leben geschenkt hast, will ich dir einen Wunsch erfüllen."
Bald waren sie im Hafen. Die Zwerge brachten die Truhen in das Haus der Mutter. Dann waren sie und das Schiff verschwunden. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Er kaufte für seine liebe Mutter und für sich schöne Kleider und ein prächtiges Schloss und nannte sich Herr von Knuthland. Alle Leute bewunderten seinen Reichtum, und die vornehmsten Herren waren bei ihm zu Gast. Der Graf in seinem Heimatdorf hatte seiner Tochter schon manchen reichen Freier vorgestellt. Sie lehnte aber alle ab, weil sie an ihr Versprechen dachte. Da hörte der Graf von dem großen Reichtum des Herrn von Knuthland und dachte, dass er wohl der richtige Mann für seine Tochter sei und lud ihn zu sich ein.
Die Tochter musste ihr schönstes Kleid anziehen, um dem Herrn von Knuthland zu gefallen. Niemand ahnte, dass der reiche Gast der Sohn der armen Witwe war, und auch das Mädchen erkannte ihn nicht, denn sie schaute ihn nicht an. Nach dem Essen bat der Vater sie, dem Gast den Garten zu zeigen. Gehorsam ging sie mit ihm zu den Blumenbeeten. Da fragte er: "Warum bist du so traurig? Willst du meine Frau werden?" Sie schüttelte den Kopf: "Ich heirate nur den, der mir die andere Hälfte dieses Ringes bringt." Da zog er den halben Ring aus der Tasche, und die beiden Hälften passten zusammen. Nun schaute sie ihm in die Augen und erkannte ihren alten Freund wieder, und es war ein glückliches Wiedersehen. Bald läuteten ihnen die Hochzeitsglocken.